Montag, 7. Juni 2010

Das erste Interview

Emily: Ich freue mich sehr, dass ich dieses Interview zum heiklen Thema Mobbing mit Dir führen darf. Kannst Du uns zunächst ein paar Auskünfte zu Deiner Person geben?



Lia: Hallo Emily. Mein Name ist Lia Addams und ich bin 20 Jahre alt.

Emily: Im Vorgespräch hast Du mir berichtet, dass Du Opfer von Mobbing im realen Leben geworden bist. Kannst Du uns Näheres zur Vorgeschichte der Geschehnisse erzählen?

Lia: Alles fing damit an, dass ich ab der 7. Klasse aufs Gymnasium ging. Leider schaffte ich es nur bis zur 9.Klasse. Ich kam in Mathe nicht mehr mit und musste deshalb den 10.Klasse-Abschluss an einer normalen Sekundarschule in meinem damaligen Heimatort machen. Schon am ersten Schultag spürte ich, wie mir Hass und Missachtung von Seiten der Schüler entgegenschlug. Die Blicke und die viel zu lauten Flüstereien. "Schau dir die mal an!", "Was ist DAS denn?". Ich war damals ein Gothic unter Rechtsgesinnten und Hoppern, klar das ich dort keinen Anklang fand. Drohungen, Stacheleien, auch Handgreiflichleiten gehörten dann zum Alltag. Ein Jahr in der Hölle!

Emily: Wie ging es dann weiter? Nach der Schule hörte das Problem ja leider nicht auf.

Lia: Nach der Schule begann ich meine Ausbildung zur Sozialassistentin. Die ging zwei Jahre und alles lief toll! Ich fand eine Freundin, mit der ich über alles reden konnte und hatte eine wunderbare Zeit. Nach der Ausbildung wollten wir gemeinsam die Ausbildung zur Erzieherin machen und da fing es an. Die Klassen wurden neu zusammengewürfelt. Von einem Moment zum anderen war ich für meine angebliche Freundin nicht mehr interessant. Das hätte ich verkraften können, jede Freundschaft schwächt irgendwann ab, doch damit war es ja nicht getan. Plötzlich fingen die neuen Schülerinen an zu tuscheln, wenn ich auftauchte, lachten und blickten hämisch in meine Richtung. Ich war mutiger als damals (in der Schule) und ging zu ihnen, um das klarzustellen und fragte, was das solle. "Ach nichts!" lachten sie und ließen mich stehen. Ich kam eines Tages in den Klassenraum und auf meinem Platz lag ein Päckchen. Als ich es öffnete, war klar was los war. In dem Packet lag eine Rasierklinge mit einem Zettel "Viel Spaß damit!". So etwas häufte sich. Dinge, die keiner wissen konnte, wurden gegen mich verwendet. Geheimnisse, die ich nie preisgegeben hatte, standen plötzlich an Tafeln oder wurden lachend weitererzählt. Zum Schluss auch tiefe Kratzer an meinem Auto, Reißzwecken auf meinem Stuhl, "aus Versehen" auf mich geschüttete Getränke.... Ihr könnt es euch sicher denken, meine damalige Freundin hatte jede Kleinigkeit die ich ihr je anvertraut hatte weitererzählt und gegen mich verwendet. Vom Ritzen in der damaligen Mobbing-Zeit, über Elternprobleme bis hin zu intimen Dingen. Ich wollte sie zur Rede stellen, doch von ihr kam nie eine Antwort auf die Frage "Warum?", bis heute nicht. Ich brach nach einem Jahr die Ausbildung ab. Ich war mit den Nerven am Ende, nachdem selbst die Lehrer auf mein Hilfegesuch nur lachten.



Emily: Das war eine schlimme Zeit. Und es ist schrecklich, dass Du keine Hilfe von den Lehrern bekommen hast. Du hast eine Therapie gemacht. Hat sie dir geholfen?

Lia: Es handelte sich um eine drei-monatige stationäre Behandlung mit Gruppen- und Einzelgesprächen, Sport und ähnlichen Aktivitäten. Doch schon in den ersten Tagen war mir das ganze nicht geheuer. Die Therapie war aufgebaut wie ein Kindergarten, so habe ich mich gefühlt. Malkurse, basteln, Sportfest....wie sollte mir das helfen? Die Gruppengespräche waren der Horror. Jeder musste sein Problem vortragen und sich der Kritik der anderen stellen. Ich erzählte von meinem Fall und von allen Seiten wurde ich beschossen, von wegen es sei kein Problem, ich hätte nur keinen Arsch in der Hose. Ich wollte mich rechtfertigen doch jeder Versuch, es den Mitpatienten begreiflich zu machen, wie hart diese Psychospielchen meiner Klassenkameraden waren, prallte an ihnen ab. Ich war die Jüngste, damals 19, die anderen begannen ab 35. Sicher nahmen sie mich nicht ernst. Als ich dann lauter wurde und meinte, es wär ne Frechheit mein Problem herunterzuspielen, wurde ich von einem 60-jährigen Mann mit Agressionsproblemen gegen eine Wand geschmissen. Und was machten die Therapeuten? Die saßen da und machten Notizen. Ich ging später zu ihnen, wollte wissen wieso keiner eingreift. "Das ist alles Teil der Therapie!" Der Höhepunkt war, als ein gleichaltriger Patient dazu kam, mit dem ich mich super verstand. Wir gingen eine Runde spazieren. Als wir wiederkamen, wurde uns gesagt, wir müssten gehen, da Beziehungen zwischen Patienten nicht erlaubt seien. Ich winkte denen mit meinem Verlobungsring vorm Gesicht herum und wies darauf hin, dass mein Freund mich jedes Wochenende besuchte. Die Mitpatienten hatten den Psychologen gesagt, wir hätten eine Beziehung, würden uns nachts sogar hinaus schleichen. Dann mussten wir unsere Zimmer räumen. Die Mitpatienten sahen mit verschränkten Armen zu wie wir packten. "Jetzt ist hier wenigst Platz für richtige Probleme" motzte dann der "Vergewaltiger"! Ob es geholfen hat? Nein!

Emily: Wenn Mitpatienten Dich verbal und körperlich angreifen, muss ein Therapeut eigentlich eingreifen. Ich denke auch, dass die Therapieform vielleicht die falsche war. Es ist trotzdem gut, sich professionelle Hilfe zu holen. Wie hast Du dich nach diesem "Misserfolg" gefühlt?

Lia: Zuerst war ich einfach nur wütend, gekränkt, mit dem Nerven am Ende, entsetzt über die Menschheit im allgemeinen. Daraus wurde dann purer Hass. Später wuchs daraus die Kraft, mich gegen so etwas resistent zu machen und niemanden zu nah an mich heran zu lassen.

Emily: Wo hast Du Dir Unterstützung geholt?

Lia: Meine Eltern und mein Freund waren nach dieser Zeit für mich da, und waren hilfreicher als jeder Arzt der Welt.

Emily: Wie ging die Sache aus?

Lia: Ich wollte mir von dieser Sache nicht die Zukunft versauen lassen und bewarb mich sofort um eine neue Ausbildung. Ich wurde angenommen und bin nun mit meinem ersten Lehrjahr fertig. Eine nette Klasse und auch Freunde habe ich auch gefunden.

Emily: Wie würdest Du die Ereignisse jetzt mit zeitlichem Abstand beurteilen?

Lia:
Es tut immer noch weh, an die Vergangenheit zu denken. Es war so grausam, was mir angetan wurde. Könnte ich das ganze nochmal durchmachen, würde ich - glaub ich - anders reagieren, evtl. sogar drüber lachen. Aber damals war ich einfach nicht stark genug.


Emily:
Hast Du einen persönlichen Rat, den Du anderen mit auf den Weg geben möchtest?

Lia: Man sollte niemals aufgeben. Egal wie hart es ist, einen Weg gibt es immer, so umständlich er auch sein mag. Wehrt euch, ob es ein gut gekonterter Spruch ist oder, um euch nicht in Gefahr zu begeben, ein Termin beim Direktor, Polizei usw. Lasst euch nicht euer Leben von sowas kaputt machen, denn genau das ist es, was Leute mit Mobbing erreichen wollen.

Emily:
Ich danke Dir Lia, dass Du so offen über dieses Thema sprichst/schreibst, das finde ich sehr mutig. Für die Zukunft wünsche ich Dir viel Kraft und alles Gute!

Fotos von Lia Addams

11 Kommentare:

  1. hut ab....schönes interview...
    toll wenn sich menschen nicht unterkriegen lassen!
    lg anti*die aufgrund von "stalkerähnlichensachen" bis auf weiteres ihren blog nur auf einladung hat*

    AntwortenLöschen
  2. interessant zu lesen wie es auch anderen ging die gemobbt wurde. mit der therapie erschreckt mich ja schon etwas. schade wie es bei dir gelaufen ist, dabei schaust du nett aus :) ich hatte auch immer vergeblich nach freunden gesucht und vertraue selbst heute niemandem mehr. da meine freundin mich auch sitzen ließ in der neuen klasse.. ich allgemein immer freunde hatte die mit dem strom schwammen und nicht dagegen... und lehrer halfen mir auch nicht.. die wissen sich ja nicht mal selbst zu helfen weil die klasse immer total am durchdrehen war.

    AntwortenLöschen
  3. wow tolles Interview,

    erinnert mich an meine Schulzeit, war zwar nicht ganz so hart aber trotzdem schlimm..

    freut mich das Lia sich nicht hat unterkriegen lassen.

    AntwortenLöschen
  4. weiter so, lia!
    lass dich nicht unterkriegen!

    Vielen dank für deinen ehrlichen bericht. Es schockiert mich sehr, wie grausam menschen sein können.

    AntwortenLöschen
  5. Ein super Interview. Ja, das Leben kann manchmal ganz schön grausam sein. Ich studiere Lehramt und war bei der Aussage, die Lehrer hätten (in der SZ-Ausbildung) gelacht mehr als entsetzt. Ich studiere genau dieses Lehramt und werde seit dem 1. Semester auf solche Situationen und den Umgang mit Mobbin vorbereitet. Selbst während meiner Praktika habe ich mich mit meinen Schülerinnen und Schülern mit dem Thema beschäftigt.
    Nochmal ein Danke an Emily und Lia.

    AntwortenLöschen
  6. respekt von meiner seite aus...
    ich finde es toll das du (lia) das gemacht hast, man merkt welche emotionen dahinter stecken, der rat von dir hat mir gänsehaut bereitet weil es einfach die wahrheit ist :)

    und an emily, hut ab, du hast innerhalb ein paar wochen schon so viel mit deinem blog erreicht, mach weiter so!

    AntwortenLöschen
  7. wow.. mir steht der Mund offen.. wie unfair können die menschen sein??

    lia ich wünsche dir alles glück der welt und das dir sowas nie nie nie wieder passiert!
    Kopf hoch und Zunge raus!
    Bussi

    AntwortenLöschen
  8. Ein wirklich ehrliches und mutiges Interview! Respekt!

    AntwortenLöschen
  9. Auch von mir hast du vollen Respekt für dieses sehr offene Interview! Ich kann deinen Schmerz sehr gut nachvollziehen, denn auch mir erging es in meiner Kindheit und Jugend nicht leicht. Und ich bewundere dich, dass du trotdem die Kraft aufbringst was aus deinem Leben zu machen! Mir fehlt leider bisher noch die nötige Kraft dazu, aber zu lesen wie andere mit ähnlichen Schicksalen ihr Leben meistern, macht mir immer ein wenig Mut und zeigt mir, dass es möglich ist. Danke Lia.

    AntwortenLöschen
  10. Wow.. krass sowas zu lesen! Manchmal erkennt man Menschen nicht wieder, wie boshaft sie sein können, eine ganze Klasse! Die Eltern müsste eigentlich im Boden versinken, wenn sie wüssten was ihre Kinder tun...
    Ich finds immer noch unfassbar wie Menschen handeln egal ob Mitschüler, Therapheut oder auch Mitpatienten.

    Ich wünsche dir noch viel Glück für deine Zukunft. :) Und das dir soetwas nie wieder passiert!

    AntwortenLöschen
  11. hui, das ist wirklich ein gutes interview.

    meine hochachtung, lia, dass du das so offen ansprichst. und auch, dass du den kopf nicht in den sand gesteckt, sondern dich wieder aufgerappelt hast.

    ich hatte auch mit mobbing zu kämpfen, damals, in der schule.
    das an sich wäre ja noch schlimm genug, aber was dir da in der therapie passiert ist, schlägt dem fass wirklich den boden aus...

    AntwortenLöschen

Bitte haltet Euch an die sogenannte Nettique. Vielen Dank!